Unter dem NS-Regime

Yad Vashem: Jüdische Geschichte Gunzenhausens aus den von der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem gesammelten Aufzeichnungen über jüdische Gemeinden in Europa (Pinkas haKehillot), Bayern, Mittelfranken, S. 288 - 293

Im Jahre 1933 gehörte die jüdische Gemeinde Gunzenhausen zum Distriktsrabbinat Schwabach; sie verfügte über eine Synagoge, ein Gemeindehaus, eine Volksschule, ein Judenbad (Mikwe) und einen Friedhof. In der Gemeinde war eine (1740 gegründete) Wohlfahrtsgesellschaft tätig, eine Beerdigungsschwesternschaft (Chewra Kadischa für Frauen, seit 1750), eine allgemeine Almosen-Kasse, eine Stiftung zur Ausstattung mittelloser Bräute, und die Rosenau-Stiftung zur Unterstützung der Schüler an der religiösen Schule (Talmud Tora). An jüdischen Vereinen waren vertreten die Zionistische Vereinigung für Deutschland, “Agudat Israel” (orthodox), der C. V. (Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens) und der “Jüdische Jugendverein”.

Im Schuljahr 1932 - 33 lernten an der einklassigen jüdischen Volksschule in Gunzenhausen 17 Kinder, 16 weitere besuchten allgemeine Schulen und kamen nur zum Religionsunterricht an die jüdische Schule. Der Jahreshaushalt der jüdischen Gemeinde betrug (im Jahre 1930) 11 000 Mark, davon waren 3 000 Mark für Sozialwesen und 2 000 Mark für das Erziehungswesen vorgesehen. Die Gemeinde hatte die Möglichkeit, koscheres Fleisch schächten zu lassen; für den Gottesdienst stand ein fester Vorbeter zur Verfügung.

1933 gliederte sich die jüdische Bevölkerung von Gunzenhausen beruflich in 41 Kaufleute, 9 Krämer, 3 Finanzberater, 3 Handwerker, 2 Angestellte, 2 Ärzte, einen Lehrer, einen Cafe-Besitzer, 6 weibliche Hausangestellte und 4 Rentner.

Ausschreitungen. Schon im März 1933 wurden auf den Straßen von Gunzenhausen Juden tätlich angegriffen, wobei der Sohn des Metzgers schwer verletzt wurde; an vielen jüdischen Geschäften wurden die Fenster eingeschlagen.

Die schrankenlose antisemitische Hetze stieß unter den Einwohnern von Gunzenhausen auf lebhafte Zustimmung. Dies fand eklatanten Ausdruck in dem Pogrom vom 25. März 1934. Die Unruhen begannen, als eine Gruppe von SA-Männern mit Obersturmführer Kurt Bär an der Spitze das jüdische Cafe betrat, um einen nichtjüdischen Gast herauszuholen, den sie dort hatten Kaffee trinken sehen. Als sie dort den Juden Jakob Rosenfelder antrafen, der schon aus der Zeit vor 1933 als Nazi-Gegner bekannt war, beschlossen sie, wiederzukommen und ihn festzunehmen. Bei ihrer Rückkehr wenig später fanden sie Rosenfelder nicht; statt seiner schleppten sie den Sohn des Besitzers, Julius Strauss, gewaltsam heraus. Inzwischen hatte sich auf der Straße eine Menge zusammengerottet, die brüllte: “Haut ihn! Haut ihn!” Der junge Strauss wurde brutal zusammengeschlagen, bis er ohnmächtig zu Boden fiel. Seine Eltern, die ihm zu Hilfe eilten, wurden von Bär ebenfalls verprügelt, außerdem mit der Pistole bedroht. Danach trat Bär hinaus auf die Straße und hielt eine wüste antisemitische Hetzrede. Er forderte die SA-Leute aus der zusammengelaufenen Zuschauerschaft auf mitzukommen, um weitere von den Juden am Ort zu verhaften. Zunächst sollten die Mitglieder der Familie Strauss festgenommen werden, danch andere Juden. Diesem Aufruf folgten 25 Männer. Die Angehörigen der Familie Strauss wurde ins Gunzenhausener Gefängnis geschleppt, wobei die aufgewiegelte Menge brüllte: “Weg mit den Juden!” Andere Leute drangen in das Cafe ein und schlugen alles kurz und klein.

Von dort zogen die Randalierer weiter zum Haus von Jakob Rosenfelder. Sie versetzten seine Schwester in Todesangst, so dass sie ihnen mitteilte, sie habe ihn in Richtung auf eines der Nachbarhäuser gehen sehen. Dort fanden ihn dann auch zwei aus der wilden Horde in einem Schuppen; angeblich hatte er sich an einem Balken erhängt und war bereits tot. Anschließend drang die Meute in weitere Häuser von Juden ein, von denen viele geschlagen und festgenommen wurden.

Auf der Suche nach dem Kaufmann Max Rosenau, den sie in seiner Wohnung nicht fanden, stürmten sie in die Wohnung seines Nachbarn, des Juden Lehmann. Dessen Tochter bat flehentlich, sie möchten sie festnehmen statt ihres herzkranken Vaters. Die Tochter wurde zusammengeschlagen, ihr Vater und ihr Bruder mitgeschleift. In einem Zimmer der Lehmannschen Wohnung wurde später Max Rosenau mit fünf Messerstichen im Leib tot aufgefunden.

An jenem Tag wurden 35 Juden in Gunzenhausen inhaftiert, darunter sechs Frauen. Sie wurden gezwungen, Freiübungen zu machen, und von den Nazis misshandelt. Die Frauen wurden nach kurzer Zeit freigelassen; die Männer blieben in Gewahrsam bis in die Abendstunden des folgenden Tages, “um sie vor der wütenden Menge zu schützen”. Erst nachdem das Schlimmste vorüber war, kam eine Polizeitruppe in die Stadt, um den Gewalttätigkeiten ein Ende zu setzen. An den Ausschreitungen waren schätzungsweise 1000 bis 1500 Personen beteiligt (und das bei einer Gesamtbevölkerung von 5600).

Das Reichsinnenministerium hatte Sorge vor der Reaktion der Weltöffentlichkeit auf den Pogrom in Gunzenhausen, daher verlangte es von den Behörden in München, den Fall zu untersuchen und die Schuldigen vor Gericht zu stellen. In einem Schreiben des Innenministers vom 5. April 1934 heißt es, die Version des Polizeiberichts vom Selbstmord der beiden Gunzenhausener Juden überzeuge ihn nicht. Doch in dem Prozess, der am 11. Juni desselben Jahres in Ansbach stattfand, bestätigten die Richter die Selbstmordversion und zwar unter Berufung auf die Aussage der Tochter Lehmann, wonach Rosenau wenige Minuten vor seinem Tod ein Küchenmesser in die Hand genommen und verkündet habe: “Ich bin schon tot, mich braucht ihr nicht mehr umzubringen!”

Vor Gericht wurden Kurt Bär und weitere 24 Männer angeklagt, die Ausschreitungen gegen die Juden am Ort veranstaltet, sie misshandelt und ihren Besitz beschädigt zu haben. Der Verteidiger der Angeklagten suchte den Prozess als solchen anzufechten mit der Begründung, die Richter und die Geschworenen seien nicht alle Parteigenossen, daher hätten sie kein Verständnis für die Beweggründe, aus denen die Angeklagten gehandelt hätten. Das Gericht erwiderte, die Beweggründe der Angeklagten seien ihm durchaus verständlich, doch es müsse die Argumentation der Verteidigung zurückweisen. Kurt Bär erhielt eine Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren, weitere zwanzig Angeklagte wurden mit vier bis zwölf Monaten Haft bestraft. Wenige Tage später wurde das Strafmaß heruntergesetzt: Bär erhielt zehn Monate, weitere achtzehn Angeklagte zwischen drei und sieben Monaten Gefängnis; die übrigen wurden freigesprochen.

Inzwischen war es in Gunzenhausen zu weiteren Ausschreitungen gekommen. In einem offiziellen Schreiben der Münchener Polizei heißt es, am 12. April seien an jüdischen Geschäften und Wohnungen in Gunzenhausen die Fenster eingeschlagen worden. SA-Männer sängen häufig und begeistert das Horst-Wessel-Lied, worin ausdrücklich zur Ermordung von Juden aufgefordert wird.

Am 15. Juli 1934 brach Kurt Bär, der sich auf freiem Fuß befand, obwohl er eigentlich im Gefängnis hätte sitzen sollen, in die Wohnung der Familie Strauss ein. Er fiel über Simon Strauss und dessen Sohn Julius her, die vor Gericht gegen ihn und seine Genossen ausgesagt hatten, außerdem gab er aus seiner Pistole Schüsse auf sie ab. Simon Strauss erlag seinen Verletzungen an Ort und Stelle, sein Sohn wurde schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert, wo er wochenlang zu liegen hatte.

Nach dieser Mordtat wies das Berliner Innenministerium in einem Schreiben vom 25. Juli 1934 das bayerische Staatsministerium an, die SA in Gunzenhausen sei mit Polizeigewalt daran zu hindern, das Hetzlied zu singen; die Behandlung der jüdischen Frage sei Sache der Reichsregierung, nicht Sache der Gunzenhausener SA. Daraufhin wurde zeitweilig das Singen gewisser Zeilen jenes berüchtigten Liedes verboten.

Am 11. August 1934 fand in Ansbach der Prozess gegen Kurt Bär statt wegen Ermordung von Simon Strauss sowie gegen Joseph Kaiser und Hans Hermann wegen Beihilfe zum Mord. Bär erhielt lebenslänglich, Kaiser vier Jahre Gefängnis, Hermann wurde freigesprochen.

Das Berufungsverfahren gegen die Beteiligten an den Ausschreitungen vom 25. März 1934 endete am 21. August desselben Jahres. Mit Ausnahme von Kurt Bär, der schuldig befunden wurde, die Unruhen ausgelöst und angeführt zu haben, wurden alle freigesprochen.

Im Oktober 1935 untersagten die städtischen Behörden auswärtigen Juden, sich in Gunzenhausen niederzulassen; außerdem durften Juden in der Stadt keine Immobilien erwerben.

Ein Jahr später wurden Juden aus Gunzenhausen und aus Treuchtlingen gewaltsam an der Benützung der Eisenbahnlinie Gunzenhausen-Pleinfeld gehindert.

Im Dezember 1936 wurden die Schulen in Gunzenhausen für “judenrein” erklärt. 1937 lernten in der jüdischen Schule noch neun Schüler.

Im März und im Juni 1938 wurden drei jüdische Geschäfte in Gunzenhausen “arisiert”.

Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zum Novemberpogrom 1938 hatten 115 Juden Gunzenhausen verlassen (bei 6 von ihnen kennen wir das Datum nicht). Innerhalb dieses Zeitraums waren elf Juden in Gunzenhausen gestorben, unter ihnen die drei Pogrom-Opfer von 1934 und einer, der im August 1937 Selbstmord begangen hatte.

Die schrittweise Liquidierung der jüdischen Gemeinde

Jahr weggezogen ausgewandert verschleppt
insgesamt 116 52 7 (Dachau)
1933 6    
1934 21 7  
1935 14 13  
1936 13 10  
1937 2 9  
1938 59 2 7 (Dachau)
1939 1 2  

Holocaust

Anfang November 1938 wohnten in Gunzenhausen 64 Juden.

Am Vorabend des 10. November 1938 erhielt der Bürgermeister von einem der SA-Kommandanten in Franken den Befehl, die Synagoge in Flammen aufgehen zu lassen. Der Befehl wurde an den städtischen Feuerwehrhauptmann weitergegeben, doch als der sich weigerte, begnügte man sich damit, die beiden Kuppeln zu zerstören, die das Dach der Synagoge zierten. Wie durch ein Wunder wurden auch etliche der in der Synagoge befindlichen alten und kostbaren Kultgegenstände gerettet, darunter ein Silbertablett der Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa) von 1770.

Doch die Wohnhäuser der Juden entgingen der Verwüstung nicht, in vielen davon wurden Möbel und Hausrat kurz und klein geschlagen.

Sogleich nach diesen Ausschreitungen begann sich die Gemeinde aufzulösen. Die Juden verkauften ihre Häuser und sonstigen Besitztümer weit unter dem Wert; bis Dezember 1938 hatten 43 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Gunzenhausen verlassen. Über das Schicksal weiterer sieben Juden, die zwischen dem 28. November und dem 1. Dezember desselben Jahres ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurden, liegen keine Informationen vor. Im Januar 1939 wurde die Stadt Gunzenhausen für “judenfrei” erklärt; die Synagoge wurde zur städtischen Markthalle.

In den Jahren 1933 - 1939 wanderten 52 der Gunzenhausener Juden aus, 18 von ihnen nach Palästina, 22 in die USA, 9 nach Südamerika, 2 in die Tchechoslowakei und einer nach Südafrika. 116 Juden verzogen innerhalb Deutschlands, darunter 37 nach München, 19 nach Stuttgart, 15 nach Nürnberg, 6 nach Frankfurt am Main, 5 nach Mainz und die übrigen an zehn verschiedene Orte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte kein einziger Jude nach Gunzenhausen zurück.

Die Synagoge, das Gemeindehaus und das Schulgebäude überdauerten den Krieg. Auf dem jüdischen Friedhof waren die meisten Grabsteine schon unter dem NS-Regime herausgerissen und als Bau- und Pflastersteine verwendet worden. Die restlichen 30 Grabsteine wurden nach dem Krieg ebenfalls entfernt und am Zaun entlang aufgereiht. 1948 errichtete die Organisation der Verfolgten des Dritten Reiches in der Friedhofsmitte ein Mahnmal zur Erinnerung an den Holocaust. Betreut wird der Friedhof heute von den Behörden am Ort unter Aufsicht des Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden.

Im Mai 1949 wurde den Teilnehmern an den Ausschreitungen in Gunzenhausen vom November 1938 vor dem Kreisgericht in Ansbach der Prozess gemacht. Fünf von ihnen wurden freigesprochen, und fünf wurden zu Gefängnisstrafen von drei bis acht Monaten verurteilt.

Heute gibt es keine Juden in Gunzenhausen.