Familie Moritz Joelsohn
Moritz Joelsohn, geb. 30.05.1865 in Gunzenhausen, ist der Sohn des Handelsmannes Joel Joelsohn und seiner Frau Therese, geb. Neuburger. Er war auch als Viehhändler in Gunzenhausen bekannt. Seine Frau Karolina Kocherthaler, ist am 21.05.1872 in Ernsbach geboren.
Die Wohnanschrift der Familie Joelsohn war von 1897 – 1913 die Hensoltstraße 4. Doch schon um 1900 erbte Moritz das väterliche Anwesen Waagstraße 2. Dorthin zog er nach 1913 mit seiner Familie. Sein Bruder Elkan (*17.06.1867) wohnte schon einige Jahre dort mit Frau Olga und Tochter Nanette (*18.09.1897). Später zog diese Familie aber in die Rathausstraße 1, bis sie 1912 Gunzenhausen verließen um in Nürnberg zu leben. Elkan wurde 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Wo seine Frau Olga ums Leben kam, haben wir nicht herausgefunden.
Das Ehepaar hatte vier Kinder:
- Ludwig: Am 02.10.1894 in Gunzenhausen geboren.
Er ließ sich am 27. November 1921 in München christlich taufen und heiratete dort eine evangelische Frau. Ludwig Joelsohn hielt sich nach Kriegsende als persönlicher Referent des Staatskommissariates für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Gunzenhausen auf. - Alfred: 19.08.1895 in Gunzenhausen geboren.
Im 1. Weltkrieg erhielt er das Eiserne Kreuz der II. Klasse.
Er wurde auch mit dem Militär-Verdienstkreuz der III. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.
Um 1939 ist er in Berlin-Neuköln gemeldet. - Erwin: Am 14.05.1897 in Gunzenhausen geboren.
Er arbeitete als Viehhändler und wurde als Maschinengewehrschütze im Oktober 1917 mit dem Militär-Verdienstkreuz der III. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.
1929 wanderte er nach Amerika aus - Nanni: Am 08.10.1899 ebenfalls in Gunzenhausen geboren, heiratete am 18.04.1922 den Viehhändler Sali Bacharach aus Fellheim, geb. am 30.05.1892.
Das Ehepaar wanderte 1938 mit seinen Kindern Henry, Werner und Margot sowie der Großmutter nach Hartford/Connecticut aus.
Quelle: Personendokumentation der jüdischen Einwohner von Gunzenhausen. Zusammengestellt von Werner Mühlhäußer, Stadtarchivar
Im Jahr 2004 meldete sich ein Nachkomme der Familie Joelsohn bei uns. Es ist Herr Walter Joelsen aus München, ein Sohn von Ludwig Joelsohn. Obwohl evangelisch getauft, wurde er während des Krieges als ‚Halbjude’ diskriminiert und in ein Arbeitslager abkommandiert. Später arbeitete er als evangelischer Studentenpfarrer und dann viele Jahre für das Zweite Deutsche Fernsehen.
Im April 2004 sandte er uns per E-Mail Informationen über das Schicksal seiner Familie:
Liebe Schüler,
durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung bin ich wieder einmal auf Ihre Internetseiten aufmerksam geworden und habe gesehen, dass Sie inzwischen Ergebnisse zu der Familie, aus der ich komme, veröffentlichen. Ich möchte Ihnen dazu einige Ergänzungen mitteilen, die ich vor zwei Jahren schon einmal Herrn Mühlhäußer geschickt habe.
Ich bin der Sohn von Ludwig Joelsen, dem ältesten Sohn von Moritz Joelsohn. Mein Vater hat sich evangelisch taufen lassen, hat dadurch den engen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie verloren, hat auch seinen Namen verändert, sodass ich als Walter Joelsen aufgewachsen bin.
Mein Großvater, Moritz Joelsohn, ist 1929 in Gunzenhausen gestorben. Er ist auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Wo dort sein Grab ist, weiß ich nicht. Sein Grabstein ist aber noch erhalten und steht an einer Friedhofsmauer. Meine Großmutter Karolina, geb.Kocherthaler, war also alleine zurückgeblieben und wurde nach dem Pogrom von 1934 im Jahr 1935 von der Familie ihrer Tochter Nanni von Gunzenhausen nach Fellheim (bei Memmingen) geholt.
Ihr Sohn Erwin war 1929 nach USA ausgewandert. So war er in der Lage, seiner Mutter und der Familie seiner Schwester und seines Bruders Alfred Visa für Amerika zu schicken.
Im Juni 1938 sind Sali und Nanni Bacharach mit ihren Kindern Henry (1923 - 1975), Werner (1925 - 1991) und Margot (geb. 1926), die alle drei in Fellheim geboren sind, und der Großmutter nach Hartford/Connecticut ausgewandert. Meine Großmutter starb dort 1954 und ist auch dort beerdigt. 1953 zogen die Bacharachs nach New York. Nanni starb 1984. Wann ihr Mann starb, weiß ich nicht.
Meine Cousine Margot hat in Amerika Herrn Silverman (geb. in Oberelsbach bei Würzburg) geheiratet, der mit dem letzten Schiff aus Deutschland kam. Er starb 1996. Sie haben eine Tochter Karen, die 4 Kinder hat. Erwin Joelsohn starb 1974/75.
Alfred Joelsohn, der zweitälteste Sohn der Familie lebte in Berlin mit seiner Frau Anni und Tochter Ruth (geb. 1928) Sie sind im November 1939 nach Amerika und ebenfalls nach Hartford ausgewandert. Alfred starb 1966 in Hartford, seine Frau Annie starb 1997. Die Tochter Ruth lebt in Simsbury/CT, ist verwitwet und hat zwei Söhne und eine Tochter. Da ihre Mutter Anni nicht jüdisch war, ist Ruth evangelisch getauft.
Margot und Ruth sind meine Cousinen. Eine Cousine zweiten Grades ist Joan Zuckerman. Ihre Großmutter war Therese (verh. Reinstein), Stiefschwester meines Großvaters Moritz. Sie lebt in Scottsdale, Arizona. Sie ist dabei, einen umfangreichen Familien-Stammbaum aufzustellen. Sie hat große Kenntnisse über alle möglichen Verzweigungen der Familie, hat Kontakte auch nach Israel, wo auch Glieder der Familie leben.
Mein Vater Ludwig Joelsen hat sich, wie Ihnen ja bekannt, evangelisch taufen lassen. Da meine Mutter nicht jüdisch war, wurde ich auch evangelisch getauft (geb. 1926). Mein Vater hat bei einer Schweizer Versicherung gearbeitet und wurde nach den November-Pogromen 1938 fristlos entlassen. Begründung: Er habe verschwiegen, dass er Jude ist. Er war dann arbeitslos, meine Mutter arbeitete als Verkäuferin, um die Familie zu ernähren. Durch Vermittlung eines Pfarrers fand mein Vater eine Tätigkeit als Packer in der Evangelischen Buchhandlung, bis die Zwangsarbeit begann. Die letzten Jahre des sog. 3. Reichs musste er in München Straßenbahnen waschen. Er durfte zwar nicht Straßenbahn fahren, musste aber die Wägen waschen. Im Februar 1945 sollte er in das KZ Theresienstadt deportiert werden, war aber so krank (eine Lungengeschichte), dass er nicht mehr transportfähig war. Nach dem Krieg arbeitete er erst im Arbeitsamt München, bekam dann eine Stelle im Amt für Wiedergutmachung, im Landesentschädigungssamt.
Ich erinnere mich, dass er einmal mit meiner Mutter nach dem Krieg nach Gunzenhausen fuhr. Ich weiß nicht, ob meine Erinnerung stimmt. Aber nach dieser Erinnerung war er eingeladen worden (von der Stadt?), ein paar Tage in seiner Geburtsstadt zu verbringen. Meine Mutter schrieb mir damals (ich war schon nicht mehr in München) begeistert, dass sie überall so freundlich aufgenommen worden seien. Mein Vater war ein friedliebender Mensch. Für mich ist es nicht vorstellbar, dass er sich als Rächer aufgespielt hat.
Ich arbeite heute im Rahmen der Gedenkstätte Dachau und der Versöhnungskirche auf dem Gelände des ehemaligen KZ mit Schulklassen als Zeitzeuge und erzähle vier Geschichten aus meiner Jugend:
1. Wie ich in der Schule (und nicht durch meine Eltern) erfahre habe, dass ich für die Nazis als sog. Halbjude gelte.
2. Wie der Nazi-Ortsgruppenleiter den Eltern meiner Freunde verboten hat, ihre Kinder weiter mit mir spielen zu lassen.
3. Wie ich 1943 vom Schulbesuch ausgeschlossen wurde.
4. Wie ich 1944 in drei verschiedene Zwangsarbeitslager kam.
Ich habe lange über meine Geschichte geschwiegen. Heute ist es mir wichtig zu erzählen, weil ich den jungen Menschen Mut machen möchte, sich zu wehren, wenn wieder welche anfangen, die Welt einzuteilen in solche, die dazu
gehören, und solche, die nicht dazu gehören dürfen.
Wenn Sie weitere Fragen haben und ich sie beantworten kann, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ich finde es bewundernswert, dass junge Menschen ihre Kraft einsetzen, dass die Geschichte von Menschen, die die Nazis zum Vergessen-Werden verurteilt haben, wieder in Erinnerung gerufen wird.
Walter Joelsen
Mit dem Besuch in Gunzenhausen ist sicher der Auftrag an Ludwig Joelsen als Persönlicher Referent des Staatskommissariates für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in Gunzenhausen gemeint.
Über unser anschließendes Treffen in Dachau berichteten wir in der Tageszeitung Altmühl-Bote:
Schüler treffen auf Zeitzeugen aus Gunzenhausen
"Seit Jahren fahren Schulklassen und andere Besucher aus der Region in das ehemalige Konzentrationslager Dachau, viele davon ohne zu wissen, dass in der kleinen Versöhnungskirche auf dem Gelände ein Mann für Zeitzeugengespräche bereit steht, dessen jüdische Familie aus Gunzenhausen stammt.
Walter Joelsen, dessen Vater Ludwig Joelsohn in der Waagstraße 2 aufgewachsen ist, hat die Klasse aus der Stephani-Schule, die die Geschichte seiner Familie erforscht hat, zu einem Gespräch empfangen.
In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung hatte er über die Arbeit der Schüler gelesen und im Internet die Website der Stephani-Schule gesucht. Dort fand er den Bericht über die Familie des Handelsmannes Moritz Joelsohn aus der Waagstraße, seinem Großvater.
Per E-Mail nahm er Kontakt zu den Schülern auf und übermittelte ihnen die vollständige Geschichte seiner Familie, insbesondere über die Zeit während des Dritten Reiches. Dazu schrieb er: „Den Nazis lag daran, jüdische Menschen dem Vergessen zu überantworten, alle Erinnerungen auszulöschen. Die Arbeit von Ihnen und den Schülern ist Widerstand gegen dieses Vergessen. Mich macht das - nicht nur aus persönlichen Gründen - glücklich.“
Während die drei Geschwister seines Vaters mit ihrer Mutter in die USA emigrieren konnten, blieb dieser in München, da er eine evangelische Frau geheiratet hatte und auch selbst evangelisch geworden war. Er, der einzige Sohn, besuchte dort das Gymnasium bis er als Halbjude in ein Zwangsarbeitslager in der Nähe des KZs Buchenwald verschleppt wurde.
Sehr eindringlich und bewegend schilderte der Mann, dessen Vater schon den Familiennamen in Joelsen abgeändert hatte, seine Kindheit und Jugend als Halbjude. Verblüffend für die Schüler war seine spätere Berufswahl: Er wurde evangelischer Pfarrer.
Nachdem er viele Jahre als Studentenpfarrer gearbeitet hatte, interessierte sich das ZDF für ihn. So ließ er sich beurlauben und arbeitete u.a. auch als Moderator für diesen Sender. Von 1965 bis 1985 blieb er beim Fernsehen und moderierte z. B. die Sendung ,Treffpunkt’.
Da er sich schon immer stark in der Jugendarbeit engagiert hatte, erklärte er sich nach seiner Versetzung in den Ruhestand bereit in der Gedenkstätte auf dem ehemaligen Konzentrationslager in Dachau Jugendlichen als Zeitzeuge über seine Erlebnisse während des Dritten Reiches zu berichten. Erst spät sei er dazu bereit gewesen. „Ich habe lange über meine Geschichte geschwiegen. Heute ist es mir wichtig zu erzählen, weil ich den jungen Menschen Mut machen möchte sich zu wehren, wenn wieder welche anfangen die Welt einzuteilen in solche, die dazu gehören und solche, die nicht dazu gehören dürfen.“