Jüdisches Leben in Gunzenhausen

Verfasst von Stadtarchivar Werner Mühlhäußer

Über einen Zeitraum von mehr als 600 Jahren haben jüdische Frauen und Männer das gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben unserer Stadt mitgestaltet, mitgetragen, mitgeprägt.

Bis zur Vertreibung durch die Nationalsozialisten gab es im Alt-Landkreis Gunzenhausen jüdische Gemeinden in Heidenheim, Markt Berolzheim oder Altenmuhr. In Gunzenhausen existierte jedoch die weitaus bedeutendste Gemeinde in der Region.

Auch in den zur Stadt gehörenden Ortsteilen Cronheim und Unterwurmbach, gab es früher eigene jüdische Gemeinden. Auf dem Gebiet des heutigen Bayern sind seit dem 10. Jahrhundert Juden belegbar. Zunächst in größeren Städten wie Regensburg oder Würzburg dann, ab etwa 1200 entstanden auch in vielen anderen Kommunen kleine Gemeinden. Trotz eines aufblühenden kulturellen und religiösen Lebens, waren Juden im Mittelalter eine unterdrückte Minderheit. Vor allem seit dem Laterankonzil von 1215 wurden sie zunehmend in ghettoartige Wohnbezirke gedrängt und zum Tragen von bestimmten Kennzeichen, wie zum Beispiel dem Judenhut oder einem gelben Fleck auf der Kleidung gezwungen, wobei die Farbe Gelb im Mittelalter für Verderbtheit stand. Mit dieser Stigmatisierung wurde automatisch eine komplette Bevölkerungsgruppe universal kriminalisiert.

Immer wieder kam es zu Verfolgungen und Massakern. Während des sogenannten Rindfleisch-Pogroms von 1298, welches sich überwiegend im süddeutschen Raum, vor allem in Franken ereignete, wurden auch Gunzenhauser Juden ermordet. Mit diesem Pogrom ist gleichzeitig der erste schriftliche Hinweis auf die Existenz einer jüdischen Ansiedlung hier in unserer Stadt verknüpft.

Auch bei der Verfolgungswelle 1348/1349, als in Mitteleuropa eine verheerende Pestepidemie grassierte, man Juden als Verursacher der Seuche diffamierte und zu Tausenden umbrachte, waren ebenfalls Gunzenhausener als Opfer zu beklagen. In der Folgezeit kam es gerade in den Reichsstädten zur Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Zuflucht fanden sie oftmals in landesfürstlichen Territorien in Franken, jedoch war die Erlaubnis zur Ansiedlung mit hohen Steuern verknüpft.

Auch die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach tolerierten frühzeitig jüdische Gemeinden in ihrem Fürstentum, so auch in Gunzenhausen, das zu ihrem Herrschaftsbereich zählte. Ein im Januar 1375 ausgestelltes Dokument nahm den Juden Heimann aus Gunzenhausen samt „sein ehelich Wirtin und alle sein Kint und alle die in ihrem brot sint“ in den Schutz der Hohenzollern auf.

Die hiesige Gemeinde entwickelte sich zu einer der wichtigsten in der Markgrafschaft, wobei die exponierte Lage der Stadt am Altmühlübergang wichtiger Heeres- und Fernhandelsstraßen, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte.

Der renommierte Historiker Magnus Weinberg beschrieb sie sogar al „eine der ältesten bestehenden bayerischen Judengemeinden, die an Ruf und Bedeutung jedenfalls Ansbach, anfangs wohl auch Schwabach und Fürth übertraf“.

Örtliche Rabbiner wie Eisik Stein, zählten im 15. Jahrhundert zu den anerkanntesten Talmudgelehrten und die Jeschiwa in Gunzenhausen, also die Talmudhochschule, war hoch angesehen.

Als Beleg für die besondere Stellung der Gunzenhausener Gemeinde mag die Tatsache dienen, dass 1481 die fünf bekanntesten Rabbiner des Deutschen Reichs hier tagten, um über die Lösegeldzahlung für die in Haft genommenen Regensburger Juden zu beratschlagen.

Aus Gunzenhausen stammende Gelehrte gingen u.a. nach Nürnberg oder Wien. Der Gunzenhausener Joseph ben Jacob und sein Sohn Asriel gründeten Ende des 15. Jahrhunderts in Neapel eine weithin bekannte Druckerei die eine Reihe von hebräischen Inkunabeln herausgab.

Der erste jüdische Friedhof in Gunzenhausen hatte ebenfalls eine überregionale Bedeutung, da dort ab 1473 sämtliche verstorbene Juden aus dem Fürstentum Brandenburg-Ansbach ihre letzte Ruhe fanden. Von einer hiesigen Synagoge haben wir zwar erst hundert Jahre später erstmals einen schriftlichen Nachweis, ihre Existenz ist mit größter Sicherheit schon sehr viel früher anzusetzen. Sie lag im Bereich zwischen dem heutigen Stadtmuseum und dem Rathaus. In dieser Gegend um Auergasse, Brunnenstraße, Waagstraße und Hafnermarkt war das historische jüdische Viertel und auch die späteren Synagogen wurden in diesem Bereich errichtet.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum jüdischen Viertel stand das Geburtshaus des berühmten Theologen und Reformators Andreas Osiander und es ist ziemlich sicher, dass dieser Umstand einen nicht unerheblichen Einfluss auf dessen weiteren Lebensweg nahm.

Möglicherweise gefördert durch ein liberal-tolerantes Elternhaus, hatte er vermutlich intensiven Kontakt mit hiesigen jüdischen Gelehrten, pflegte vielleicht sogar einen regen Gedankenaustausch mit Rabbinern und Talmudschülern, die im wachen, interessierten Geist des jungen Osiander großes intellektuelles Potential erkannten. Ohne Zweifel wurde hier in Gunzenhausen die gute Saat gelegt, die Andreas Osiander in seinem späteren Leben als ausgewiesenen Kenner der hebräischen Sprache und der jüdischen Mystik kennzeichneten. Der anders als Martin Luther, einen echten Dialog mit den Juden suchte, sich energisch für ihre Rechte einsetzte und jede Form von Anti-Judaismus ablehnte.

Eine Zäsur war der Dreißigjährige Krieg. Bei seinem Ausbruch 1618 lebten schätzungsweise zwölf jüdische Familien hier, bei circa 2.000 Personen Gesamteinwohnerschaft. Gunzenhausen wurde während der langen Kriegszeit besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Besetzungen, Plünderungen, Hungersnöte und Krankheiten dezimierten die Bevölkerung. Über die hiesige jüdische Gemeinde in dieser Zeit, ist mangels archivalischer Quellen nur sehr wenig überliefert. Sicher ist nur, dass jüdische Familien hier während der Kriegsjahre Zuflucht fanden.

In der Periode nach Ende dieses erbarmungslosen Krieges, erholte sich unsere Stadt relativ schnell und die prominente Stellung Gunzenhausens als eine von vier Hauptstädten im Fürstentum Brandenburg-Ansbach erhöhte sich zusätzlich dadurch, dass sie für mehrere Jahrzehnte Sitz eines Oberrabinats war.

Im Zusammenleben zwischen Christen und Juden in unserer Stadt, scheint es keine nennenswerten Schwierigkeiten gegeben zu haben, zumindest gibt es in den Archivquellen darüber keine Angaben. Wie normal das Zusammenleben gewesen sein mag, eine gewisse Selbstverständlichkeit im alltäglichen Miteinander von Christen und Juden in Gunzenhausen praktiziert wurde, sollen folgende Beispiele aufzeigen: 1660 erwarb der städtische Rat vom hiesigen Handelsmann Marx einen Silberpokal, der dem neuen markgräflichen Oberamtmann bei seinem feierlichen Aufzug als Präsent überreicht wurde.

1692 beteiligten sich die jüdischen Einwohner an der Reparatur der drei städtischen Gebährstühle und von einer Hebamme wird bei deren Tod im Beerdigungseintrag vermerkt, dass sie während ihrer zwanzigjährigen Amtszeit „1178 Christenkinder und 206 Judenkinder“ auf die Welt geholfen hat.

1712 zählte Gunzenhausen zu den acht wohlhabendsten jüdische Orten der Markgrafschaft und einige Handelsleute erreichten in dieser Zeit gar überregionale wirtschaftliche Bedeutung als markgräfliche Hoffaktoren, Güterhändler oder Heereslieferanten. Manche Kaufleute nahmen sogar an der Leipziger Messe teil und beteiligten sich im Fernhandel. Dieser Wohlstand und das stete Anwachsen der jüdischen Bevölkerung machten 1718 den Bau einer neuen Synagoge erforderlich. Der etwa 80 Quadratmeter umfassende Betsaal war in einem schlichten Satteldachbau untergebracht, bot Platz für 40 Männerstände und verfügte über einen separaten Frauenbereich.

Markgraf Carl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach hielt sich bekanntermaßen häufig in Gunzenhausen auf und verlieh der Stadt dadurch glanzvollen Residenzcharakter. 1748 nahm er den hiesigen Barnoss Samson Salomon wegen dessen „besitzender Wissenschaft und ihm beiwohnenden exzellenten Kenntnissen von den erforderlichen Pferdsqualitäten aus besonderen Gnaden“ unter seinen direkten Schutz, wie es in einem entsprechenden Amtsprotokoll heißt.

Künftig durfte ihn das Stadtvogteiamt in Klagsachen nicht mehr belangen oder gar mit einer Turmstrafe belegen. Gleichzeitig verlieh ihm der Fürst den Titel „Hof-Rabbi“. Samson Salomon empfing diese Ehre persönlich im hiesigen markgräflichen Hofgarten. Huldvoll erhielt er einen Platz an der hochherrschaftlichen Mittagstafel und der herbeizitierte Stadtvogt sowie der Stadtschreiber mussten ihm ihre Glückwünsche aussprechen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war der Rabbiner von Gunzenhausen für einen der damals neu aufgeteilten sechs Rabbinatsbezirke im Fürstentum zuständig. Ihm unterstanden neben Gunzenhausen auch Dittenheim, Heidenheim, Markt Berolzheim und Treuchtlingen. Später kamen noch Altenmuhr, Weimersheim und Cronheim hinzu. Als letzter Bezirks- und Ortsrabbiner fungierte Abraham Böheim, der hier auch eine Talmud-Tora-Schule begründete.

Im Königreich Bayern leitete das Judenedikt von 1813 einen tiefgreifenden Umwälzungsprozess ein, auch wenn es in manchen Teilen noch restriktiv gehalten war. So griff der Staat beispielsweise massiv in die religiöse Selbstverwaltung ein. Andererseits zeigte sich das Edikt im wirtschaftlichen Bereich ausgesprochen liberal. Zudem eröffnete es den Zugang zu höheren Lehranstalten und damit zu einer Reihe von Berufen, die Juden vorher verwehrt waren. Wichtige Bestandteile des Ediktes waren außerdem die Verpflichtung bürgerliche Familiennamen anzunehmen sowie die Einführung der Judenmatrikel, einer Art Einwohnerverzeichnis. Die Gunzenhausener Matrikel liefert umfassende Details zur beruflichen Zusammensetzung und viele genealogische Informationen.

Von den 53 aufgeführten Haushaltsvorständen waren knapp 10 Prozent wohlhabende Kaufleute die außer in den überlieferten Bereichen auch mit Gold, Obligationen und anderen Wertpapieren handelten. 60 bis 70 Prozent verdienten ihren Unterhalt mit Kauf und Verkauf von Gütern aller Art – Vieh, Pferde, Federn, Tabak, Stoffe usw. und etwa 20 Prozent waren Unterhändler mit geringem Verdienst. Die letzte Hürde der Einschränkung für Bayerns Juden fiel mit dem Emanzipationsedikt von 1861, das endlich freie Wahl von Beruf und Wohnort gewährte.

Der frühzeitige Anschluss Gunzenhausens an das bayerische Eisenbahnnetz förderten darüber hinaus wirtschaftlichen Aufschwung und Erfolg und man findet in unserer Stadt ab diesem Zeitpunkt eine Vielzahl florierender jüdischer Unternehmen, beispielsweise die Bankhäuser Gerst, Rosenfelder und Frank, die Maschinenfabrik Bing, die Tonwarenfabrik Seeberger oder die Kunstmühle Wertheimer. Die Käsegroßhandlung Neumann war deutschlandweit tätig und die Weingroßhandlung Dottenheimer inserierte mit dem Hinweis „Gunzenhausen bei Würzburg“ um damit eine räumliche Nähe zu den unterfränkischen Weinanbaugebieten werbewirksam anzudeuten.

Die erwähnte Familie Bing, seit den 1850er Jahren Bürger Gunzenhausens, betrieben hier auch einen Kurz- und Manufakturwaren-Großhandel. Ignaz Bing und sein Bruder Adolf gingen schließlich nach Nürnberg wo sie ihre Metall- und Lackierwarenfabrik gründeten, dort mehr als 1000 Arbeiter beschäftigten und europaweit, ja bis nach Amerika exportierten. Ignaz Bing entdeckte übrigens die nach ihm benannte und heute noch bekannte „Binghöhle“ in der Fränkischen Schweiz. Während seiner Gunzenhausener Zeit war er auch dichterisch tätig, so schrieb er beispielsweise einen preisgekrönten Sängergruß für den Verein Liederkranz.

Doch sein großes, umfassendes Engagement in und für die Stadt nutzte ihm nichts, als seine Aufnahme in die hiesige, elitäre ‚Casinogesellschaft‘ abgelehnt wurde. Dies mag wohl ein zusätzlicher Grund gewesen sein, weshalb er sich Nürnberg zuwandte. Alle anderen Gunzenhausener Vereine hatten hingegen keine Einwände, Juden aufzunehmen oder sie als Vorstandsmitglieder zu wählen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es selbstverständlich, dass jüdische Bürger im Armenpflegschaftsrat, Gemeindebevollmächtigtenkollegium oder Stadtmagistrat saßen und die Kommunalpolitik mitgestalteten. Eigene Vereine gründeten sich; exemplarisch sind zu erwähnen: der Zentralverein deutscher Staatsangehöriger jüdischen Glaubens, die Ortsgruppe Vereinigung Orthodoxer Juden oder eine Ortsgruppe der Sabbatfreunde.

Christliche Metzger und Bäcker bewarben im „Gunzenhäuser Anzeigeblatt“ ihre koscheren Fleisch-, Wurst- oder Backwaren. Ein Wildprethändler betonte in seiner Annonce, dass „frisch eingetroffene Gänse mit beigefügtem Zeugnis und hebräischen Zertifikat“ in jedem Falle jüdischen Speisevorschriften entsprachen. Über wichtige Ereignisse aus dem jüdischen Gemeindeleben konnte man regelmäßig Berichte in der örtlichen Presse lesen.

Ein Beispiel für Konfessionen übergreifende Wohltätigkeit ist für das Jahr 1865 bekannt. Die verstorbene Pfarrerswitwe Bub setzte in ihrem Testament ein Legat von 200 Gulden aus und bestimmte ausdrücklich, dass die Verteilung ohne Unterschied der Konfessionen stattzufinden hat. Den örtlichen jüdischen Armenpflegern war diese großherzige Tat ein Zeitungsinserat wert: "Wenn eine solche Handlung an und für sich schon das Gepräge wohltätiger und hochherziger Gesinnungen an den Tag legt, hat die edle Spenderin sichtbar dem Zeitgeist Rechnung getragen und bei dieser Gelegenheit sich von der tolerantesten und würdigsten Seite der Humanität gezeigt. Das Inserat endet mit der Bitte an Gott: Vater des Erbarmens, erhöre unsere Bitten für das Seelenheil der dahingeschiedenen Schwester. Gib ihr den Gotteslohn, den du den Gerechten verheißt, auf daß sie leben möge, ein ewige Leben, in der Anschauung deiner Glorie."

Der Alltag zwischen Christen und Juden war allem Anschein nach von einem selbstverständlichen Miteinander bestimmt. Obwohl das 19. Jahrhundert durchaus als eine Blütezeit der örtlichen Kultusgemeinde mit kontinuierlicher Erhöhung der Mitgliederzahl zu betrachten ist, machte sich auch für Gunzenhausen, wie für viele andere fränkische Kommunen, die Auswanderungsbewegung nach Amerika bemerkbar.

Ab den 1850er Jahren wanderten circa 40 Gunzenhausener Juden aus. Für manche von ihnen erfüllte sich in der Fremde die Hoffnung, eine gesicherte Existenz zu gründen, wie bei den Gebrüdern Rosenbach, die in Philadelphia erfolgreich einen Antiquitätenhandel führten. Auf sie geht auch das bekannte „Rosenbach Museum and Library“ zurück. Trotz Amerikaauswanderung und Wegzug in größere bayerische Städte, erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil Gunzenhausens Ende des 19. Jahrhunderts mit 300 Personen seinen Höchststand.

Das, gekoppelt mit dem Bewusstsein vollständiger Gleichberechtigung und Integration in der Gesellschaft, beflügelte die jüdische Gemeinde zu zwei großen Bauvorhaben. 1875 ging man zunächst daran, einen eigenen Friedhof zu errichten. Seit mehr als 300 Jahren, mit Auflösung des ersten, mittelalterlichen Friedhofes an der Nürnberger Straße, mußten die Verstorbenen in Bechhofen begraben werden. Mit der neuen Begräbnisstätte am Burgstallwald entfiel künftig der beschwerliche Weg für die Trauergemeinden. Absoluter Höhepunkt im Gemeindeleben war definitiv der Bau der imposanten, Stadtbild bestimmenden Synagoge am Hafnermarkt. Das Gebäude, mit Vorhalle und Freitreppe, Betsaal, Frauenempore und zwei Turmanbauten, bot mehreren hundert Gläubigen Platz.

Über einhundert Gaslampen erleuchteten das Innere einer der schönsten und modernsten Synagogen Frankens jener Zeit. Das Gotteshaus wurde am 19. Oktober 1883 unter Beteiligung sämtlicher Gunzenhäuser Honoratioren, der Schuljugend, Stadtkapelle und Feuerwehr, durch den Ansbacher Distriksrabbiner Aron Grünbaum eingeweiht. Dessen in der Predigt geäußerte gute und fromme Wünsche für Gunzenhausen, seine christlichen und jüdischen Einwohner sowie für die neue Synagoge, sollten leider dauerhaft nicht in Erfüllung gehen.

Der bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im gesamten deutschen Kaiserreich herrschende Patriotismus, machte auch vor Gunzenhausens Juden nicht Halt. Schon im August 1914 fand ein Bittgottesdienst in der Synagoge statt, um den göttlichen Beistand zum Waffensieg zu erflehen. Trotzdem hatte die Kultusgemeinde ihren Blutzoll zu entrichten: Viktor Bermann, David Rück sowie die Brüder Oskar, Ludwig und Max Seller ließen ihre Leben auf den europäischen Schlachtfeldern.

Nach Kriegsende setzte hier, dem allgemeinen Trend in Süddeutschland folgend, ein Schrumpfungsprozess der Kultusgemeinde ein, da viele junge und gut ausgebildete Juden in der fränkischen Provinz keine Chancen für ein berufliches Weiterkommen sahen.

Sehr früh, schon 1919, kam es in Gunzenhausen zu offener Hetze und Verteilung von Flugblättern mit antisemitischen Inhalten. Es kursierten Verleumdungen im Sinne der so genannten Dolchstoßlegende, die den Sozialdemokraten und Juden die Schuld am verlorenen Krieg anlasteten.

1920 stand ein Bürger vor der Anklage, er habe das Anmalen von Hakenkreuzen veranlasst. 1922 wurden Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof beschädigt, 1923 Synagogenfenster eingeworfen. Auch die frühe Existenz einer NSDAP-Ortsgruppe führte zu einer latent angespannten Stimmung in der Stadt. Nazis im Stadtrat und die Tatsache, dass der parteilose Erste Bürgermeister Münch im Sommer 1932 der Hitlerpartei beitrat, trugen zur weiteren Verschärfung der Situation bei.

Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten noch 181 jüdische Einwohner in Gunzenhausen. Die staatlichen, aber auch kommunalen Restriktionen für sie nahmen spürbar zu. Im Herbst 1933 durfte letztmals ein gewerbliches Inserat eines jüdischen Geschäfts im Altmühlbote erscheinen.

Nur noch selten wurden Traueranzeigen veröffentlicht, so unter anderem für den am 22. Juni 1933 verstorbenen Metzger und Handelsmann Heinrich Hellmann, der einer alteingesessenen Familie entstammte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Inserat der Vorstandschaft des Veteranenvereins Gunzenhausen, darin heißt es: "Wir erfüllen hiermit die traurige Pflicht, unseren Kameraden vom Ableben unseres Altveteranen Herrn Heinrich Hellmann, geziemend Kenntnis zu geben. Beerdigung Freitag 23. Juni. Zahlreiche Beteiligung ist Pflicht."

Im Hinblick darauf, dass die Nazis zu diesem Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr an der Macht waren, zeugt diese Anzeigenschaltung von einem gewissen Mut.

Die Hellmanns gehörten zu jenen Familien, die vom Holocaust besonders schwer betroffen waren. Sowohl die Witwe Heinrich Hellmanns, als auch 7 von 12 Kindern wurden ermordet.

Mit dem ‚Blutigen Palmsonntag‘ ereignete sich in Gunzenhausen einer der ersten Pogrome im Deutschen Reich. Man spricht von bis zu 1.500 fanatisierten Personen, die im März 1934 abends grölend durch die Straßen zogen, jüdische Einwohner, teilweise im Nachthemd ins Freie zerrten, misshandelten und ins Gefängnis schleppten. Zwei Mitbürger kamen gewaltsam ums Leben.

Spätestens jetzt war vielen jüdischen Einwohnern bewusst, dass ein Hierbleiben in der gewohnten Umgebung, in ihrer Heimatstadt Gunzenhausen nicht länger machbar war und in kurzer Zeit verließen fast 50 von ihnen die Stadt, größtenteils in der Hoffnung, in der vermeintlichen Anonymität größerer Städte den Naziwahnsinn zu überstehen. Doch unverblümte Drohungen, wie in einer Rede des Kreisleiters und späteren Ersten Bürgermeister Johann Appler, mit den Worten „Ohne Lösung der Judenfrage, gebe es keine Erlösung des deutschen Volkes“, ließen keine Zweifel offen. Im Herbst 1938 lebten noch 55 Juden in Gunzenhausen.

Wohl in Erahnung des absehbaren Endes der Kultusgemeinde, entschloss sich die Vorstandschaft am Vortag der Reichspogromnacht zum Verkauf von Synagoge und Schulhaus an die Stadt. Die berechtigte Frage, inwieweit direkter Druck ausgeübt wurde, muss offen bleiben.

Im Verlauf der Nacht vom 9. auf den 10. November, erreichten die vom NS-Regime organisierten und gelenkten deutschlandweiten antisemitischen Übergriffe auch die jüdischen Einwohner Gunzenhausens mit voller Wucht. Wie groß die Zerstörungen teilweise waren, belegen diverse Handwerkerrechnungen, die sich im Stadtarchiv erhalten haben. Akribisch hält das Gefangenenbuch für diese Nacht die Einlieferung von 42 Personen, darunter 2 Kindern, in die Zellen des Amtsgerichtsgefängnisses fest.

Eine Woche nach der Reichspogromnacht zelebrierte die Stadt in augenfälliger Weise das Ende der Kultusgemeinde, indem die beiden Turmhauben der Synagoge, im Beisein einer dicht gedrängten Menschenmenge, niedergerissen wurden. Die Zeitung bejubelte am folgenden Tag das „Ende der Judenherrschaft“.

Unmittelbar nach der Reichspogromnacht setzte der Exodus ein. Mit Josef Seeberger sowie Martha und Albert Klein verließen am 25. Januar 1939 die letzten jüdischen Einwohner unsere Stadt, die damit, gemäß Nazi-Jargon „judenrein“ war.

Nach aktuellem Forschungsstand sind es 107 Gunzenhausener Juden, deren Lebenswege in Konzentrationslagern wie Dachau oder Theresienstadt, in den Gaskammern von Auschwitz und Sobibor, in Deportationsorten wie dem litauischen Kaunas endeten. Zählt man die jüdischen Einwohner des Ortsteils Cronheim hinzu, sind es insgesamt sogar 147 Opfer.

Nach 1945 etablierte sich hier keine Kultusgemeinde mehr. Kurzzeitig sahen behördliche Planungen zwar vor, eine größere Anzahl jüdischer Flüchtlinge, so genannte Displaced Persons in der Altmühlstadt unterzubringen, doch scheiterte dieses Vorhaben letztendlich am vehementen Widerstand von Bürgermeister, Stadtrat und Verwaltung. welche u.a. forderten ausschließlich Juden, „die tatsächlich hier gewohnt haben und mit den fränkischen Sitten und Gewohnheiten von Jugend auf vertraut sind“ den Zuzug zu gestatten.

Das Schreiben gipfelt in der Aussage, dass die Ansiedlung auswärtiger Juden mit großen Gefahren verbunden sei, insofern als die Bevölkerung durch deren Auftreten nicht gereizt werden dürfte. Unbegreiflich erscheint diese Argumentationsweise heute, welche im Duktus unangenehm an die NS-Zeit erinnert.