Wilhelm Lux
Der Nationalsozialismus in Gunzenhausen - lokalgeschichtlich gesehen: 2. Teil (1934)
Alt-Gunzenhausen, Beiträge zur Geschichte der Stadt Gunzenhausen, Heft 44/1988, S. 119 ff
Juden die Geselligkeit verboten?
Zwei Beschlüsse faßte der Stadtrat Gunzenhausen in seiner Sitzung vom 17. Oktober 1934, aus denen die ganze Brutalität der neuen Machthaber gegenüber dem jüdischen Einwohnerschaftsteil zu erkennen war: Es handelte sich um ein Gesuch des Inhabers der seit Jahrzehnten in Gunzenhausen bestehenden Weingroßhandlung Dottenheimer, Sigmund Dottenheimer, der um die Erlaubnis zum Weinausschank an jüdischen Feiertagen in seinem Haus bat. Dottenheimer führte in seinem Gesuch an den Stadtrat an, daß „er sehr schwer um seine Existenz zu kämpfen habe und überdies sein Vater die Genehmigung zum Weinausschank an jüdischen Feiertagen schon hatte (was auch stimmte, wie der Verfasser bei der Durchsicht alter Bände des früheren„Gunzenhäuser Anzeigeblattes" feststellen konnte); ferner könnten die Juden in hiesige Gaststätten nicht gehen". Das Plenum lehnte das Ansuchen mit folgenden Worten ab: „Der Stadtrat lehnt das Gesuch in eigener Zuständigkeit ab, weil vom Standpunkt der Öffentlichkeit aus ein Bedürfnis nicht besteht." Man kann hierzu nur argumentieren, daß aus diesen dürren Worten reine Bosheit spricht und die Absicht, den jüdischen Bevölkerungsteil weiter zu demütigen.
Wenn Dottenheimer selbst davon sprach, daß die „Juden in hiesige Gasthäuser nicht gehen könnten", also unter sich gesellig zusammenkommen wollten, konnte die Bedürfnisfrage nicht verneint werden. In gleicher Weise wurde Dottenheimers Gesuch um Erteilung der Erlaubnis zur Errichtung einer Kaffeewirtschaft in den bisherigen Büroräumen seines Unternehmens, also im eigenen Haus, abgelehnt. Obwohl Dottenheimer in seinem Gesuch darauf hingewiesen hatte, daß die beiden früheren jüdischen Gaststätten Cafe Haase (Waldmann) und Gastwirtschaft Strauß in arische Hände übergegangen (also für Juden nicht mehr betretbar) waren, leitete der Stadtrat „unter einstimmiger Verneinung der Bedürfnisfrage" das Gesuch an die Aufsichtsbehörde, das Bezirksamt, weiter, das die Erlaubnis erteilte.
Die jüdische Familie Dottenheimer gehörte zu den angesehensten der israelitischen Gemeinde und erfreute sich auch unter der nichtjüdischen Einwohnerschaft erheblichen Ansehens. Das reelle Geschäftsgebaren der gleichnamigen Weingroßhandlung war bekannt. Ein bekannter Einwohner der Stadt war auch der damalige Senior der Familie, der Privatier Heinrich Dottenheimer, kurz der „alte Dottenheimer" genannt, der in der Stadt einen großen Bekanntenkreis besaß (nicht nur in der jüdischen Gemeinde) und in vielen Häusern (auch in dem des Verfassers) oft zu einem kleinen Schwatz sich einfand. ...
Wenn Dottenheimer in seinen Gesuchen anklingen ließ, daß Juden der Besuch von Gaststätten im Stadtbereich unmöglich sei, so war dies in einem weiten Sinne zu verstehen und nicht als ob die örtliche Gastronomie plötzlich hundertprozentig antisemitisch eingestellt gewesen wäre. Es gab immer noch eine große Anzahl kleinerer Gaststätten, in denen Juden nach wie vor bedient wurden und in denen ihr Besuch auch von anderen Gästen durchaus nicht übelgenommen wurde. So zum Beispiel bei Fritz Lehnert in der Weißenburger Straße und bei Karl Kirsch in der Mariusstraße. Der Verfasser kann hier als Beispiel ein Erlebnis berichten. Es war im Frühjahr 1935, als an einem Samstagnachmittag bei Fritz Lehnert, bei dem eine Tischrunde von Stammgästen versammelt war, die beiden jüdischen Einwohner Sigmund Dottenheimer und der Großkaufmann Heinrich Neumann (Inhaber der Käse-Großhandlung Frank & Co. an der Ansbacher Straße) erschienen, grüßten und sich an einen entfernten Nebentisch setzten. Beide wurden von den anwesenden Gästen aufgefordert, sich zu ihnen zu setzen, was sie nach einigem Zögern auch taten, aber auch darauf hinwiesen, sie wollten im Hinblick auf die Zeitverhältnisse dem Wirt wie den Gästen keine Unannehmlichkeiten bereiten, man verstehe schon ...
Diese befürchteten Unannehmlichkeiten bestanden vor allem darin, daß durch solchen Gaststättenbesuch der Wirt durch fanatisierte Gäste oder solche liebedienerische Art als „Judenfreund" bei der Kreisleitung denunziert werden konnte. Nicht besuchen konnten Juden von vornherein Parteilokale wie das Gasthaus „Zum Bären" (Fritz Ehmann) oder die sogenannten „Sturmlokale" der einzelnen SA-Stürme wie zum Beispiel den Gasthof „Zur Post", in dem früher die jüdischen Einwohner vielfach verkehrten.
Ein anderes Erlebnis: In der schon genannten Gaststätte Lehnert befand sich ein einfach gekleideter Mann, der das goldene Parteiabzeichen trug - er war ein früherer Arbeitskamerad des Wirtes aus Nürnberg - und sich mit den Gästen unterhielt. Irgendwie kam das Gespräch auch auf die Juden, und hier erklärte der Altparteigenosse: „Ja, wir bekämpfen die Juden in ihrer Gesamtheit, aber doch nicht den einzelnen, weil er gerade dasitzt, da kann er doch nichts dafür, als Jude geboren zu sein ..."